Contribution to Frankfurter Allgemeine Zeitung by Prime Minister KISHIDA Fumio on the Occasion of His Visit to Germany for the G7 Elmau Summit (in German)

June 26, 2022

Gastbeitrag von Premierminister KISHIDA Fumio in der Frankfurter Allgemeine Zeitung


Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind vier Monate vergangen. Dieser Gewaltakt hat die Grundlagen der internationalen Ordnung mit Füßen getreten und zu hohen Preisen für Energie sowie Nahrungsmittel geführt, und er zeitigt große Auswirkungen auf die Weltwirtschaft sowie das Leben der Menschen.

Angesichts dessen bilden der G7-Gipfel in Elmau sowie der NATO-Gipfel in Madrid wichtige Stationen, um die kommende Post-Kalter Krieg-Ära zu bestimmen. Niemals zuvor wurde von Japan und Deutschland, die den universellen Werten eine große Bedeutung beimessen, sowie von den Mitgliedstaaten von G7 und NATO Geschlossenheit so sehr gefordert wie heute.

Ich bin entschlossen, in Bezug auf die Sanktionen gegen Russland und die Hilfe für die Ukraine aktiv und im Zusammenwirken mit G7 und NATO einen Japan gemäßen Beitrag zu leisten wie etwa den Outreach an die asiatischen Staaten.

Auch die Ernährungs- und Energiekrise bildet eine dringende Aufgabe. Die Behauptung Russlands, dass die Sanktionen der G7 zu einer Ernährungskrise führen, ist absolut unwahr. Vielmehr zerstört Russland die Produktionskapazitäten der Ukraine und verhindert eine stabile Versorgung der Welt.

Japan unterstützt die Ukraine bei der Wiederherstellung seiner Agrarproduktion und leistet den von den Auswirkungen betroffenen ärmsten Staaten Hilfe, um so auf die steigenden Nahrungsmittelpreise zu reagieren.

Der Angriffskrieg auf die Ukraine hat das Umfeld in Bezug auf die Energiesicherheit völlig verändert und zu einem starken Anstieg der Preise bei fossilen Brennstoffen geführt. Allerdings dürfen wir bei unserem Engagement gegen den Klimawandel nicht nachlassen. Ich werde auf eine Balance mit Blick auf die Energiesicherheit achten und auch die Innovationen im Bereich Wasserstofftechnologie, dem Japan und Deutschland eine große Bedeutung beimessen, beschleunigen.

Zudem möchte ich beim Gipfel über den von mir vorangetriebenen „Neuen Kapitalismus“ diskutieren. Die Globalisierung schreitet weiter voran und hat Wirtschaftswachstum generiert, jedoch sehen wir uns vielen Problemen gegenüber, etwa der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich oder dem Klimawandel. Wir müssen nun beim Kapitalismus ein Update vornehmen, um hier einen Wandel herbeizuführen.

Unter dem „Neuen Kapitalismus“ fassen wir die Aufgaben, vor denen Wirtschaft und Gesellschaft stehen, nicht als Hindernisse auf, sondern wandeln sie in einen Motor für wirtschaftliches Wachstum um. Mit dem Konzept „sowohl Markt als auch Staat“ und „sowohl öffentlicher als auch privater Sektor“ werden wir das Zusammenwirken von öffentlichem und privatem Sektor stärken und Investitionen in Menschen, Technologien, Start-ups sowie die grüne und die digitale Wirtschaft fördern.

Um sich gegen autoritäre Bestrebungen zu wenden und um ein nachhaltiges Wachstum zu ermöglichen, wird von uns die Verwirklichung eines solchen „Neuen Kapitalismus“ gefordert. Ich möchte den Gipfel in Elmau nutzen und gemeinsam mit den anderen Teilnehmern eine neue Richtung der Wirtschaftspolitik hervorbringen.

Japan wird zudem für den Schutz der Friedensordnung auf regionaler und internationaler Ebene seine Rolle in der Außen- und Sicherheitspolitik ausweiten. Den Gewaltakt, bei dem unter Missachtung des Völkerrechts das Territorium anderer Staaten überfallen wird, fest im Blick, hat sich weltweit die Sichtweise in Bezug auf die Sicherheit umfassend gewandelt. Deutschland hat angekündigt, seine Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des BIP anzuheben, und Russlands Nachbar Finnland sowie Schweden haben sich von ihrer traditionellen Neutralitätspolitik abgewandt und angekündigt, die NATO-Mitgliedschaft zu beantragen.

Mit dem Gefühl der Krise, dass „die Ukraine womöglich das Ostasien von morgen sein wird“ habe ich einen Kurswechsel bei Japans Russlandpolitik vollzogen. Auch mit Blick auf das schwierige sicherheitspolitische Umfeld in Ostasien bin ich entschlossen, bis Ende dieses Jahres eine neue nationale Sicherheitsstrategie zu erstellen und innerhalb der nächsten fünf Jahre Japans Verteidigungspotenzial umfassend auszubauen.

Kein Staat ist in der Lage, seine Sicherheit allein zu bewahren. Ich werde die Diplomatie auf der Ebene der Regierungschefs vorantreiben, eine „realistische Außenpolitik für eine neue Ära“ entfalten und dabei mittels Diplomatie und Sicherheitspolitik zweigleisig fahren.

In der Region Indo-Pazifik kommt der Kooperation mit europäischen Staaten und mit der NATO eine entscheidende Rolle zu. Das in den letzten Jahren stärker werdende Interesse Deutschlands in Bezug auf den Indo-Pazifik ist sehr zu begrüßen. Unter anderem mithilfe der nächsten „2+2“-Konsultationen der Außen- und Verteidigungsminister möchte ich die Zusammenarbeit für die Verwirklichung eines „Offenen und freien Indo-Pazifiks“ voranbringen.

Ich sehe mit großer Sorge, dass der Einsatz von Kernwaffen als eine realistische Option diskutiert wird. Als Premierminister aus Hiroshima, dem Ort eines der beiden Atombombenabwürfe, möchte ich betonen, dass die Drohung mit Kernwaffen, wie etwa Russland sie vorträgt, und ihr Einsatz unter keinen Umständen akzeptiert werden können. Auch wenn der Weg dahin schwierig ist, möchte ich politische Führungsstärke entfalten, um der Bewegung für eine „Welt ohne Kernwaffen“ neuen Schwung zu verleihen. In Elmau und beim G7-Gipfel im kommenden Jahr in Hiroshima möchte ich mit den anderen Staats- und Regierungschefs darüber diskutieren, wie der Weg zu einer realistischen nuklearen Abrüstung beschritten werden kann.

Als dem Frieden verpflichteter Staat nimmt Japan zudem eine führende Rolle bei der Stärkung der Funktionen der Vereinten Nationen einschließlich der Reform des Sicherheitsrats ein. Japan möchte mit Deutschland und den anderen G7-Staaten zusammenwirken und nach einer Form der Global Governance suchen, die die neuen Aufgaben der Staatengemeinschaft angeht.

Von Bundeskanzler Scholz werde ich demnächst den Staffelstab übernehmen und im kommenden Jahr den G7-Gipfel in Hiroshima veranstalten. Dabei möchte ich als historisches Ereignis die Absicht der G7 aufzeigen, sich Versuchen zum Umsturz der internationalen Ordnung sowohl mittels gewaltsamer Aggression als auch mittels der Drohung mit Kernwaffen entschieden zu widersetzen.

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